„Nicht einfach nur beobachten“

Wer wollte da widersprechen? In ihrem Grußwort zum Vernetzungstreffen der Partnerschaft für Demokratie wies die Integrationsbeauftragte Brandenburgs auf das Dilemma hin: „Kommunikation ist stets schwierig und manchmal auch unmöglich“, stellte Diana Gonzalez Olivo fest. Was tun, um dem Zusammenleben in Stadt und Land keinen weiteren Schaden zuzufügen? „Ja, gerade in extremen Situationen mag zu kommunizieren die einzige Chance sein, die uns noch bleibt.“ Noch knapper fasste Teltow-Flämings Bürgerbeauftragte Jennifer Rupprecht Ziel und Auftrag zusammen: „Wir müssen im Gespräch bleiben.“

Gespräch, Erfahrungsaustausch, Beratung: „‘Nazikeule’ oder Zivilgesellschaft?“ war die Zusammenkunft überschrieben, zu der Mitte September rund 50 Interessenten ins Alte Schloss Baruth gekommen waren. Im Mittelpunkt standen zunächst Fachreferate zur Bedrohungslage durch Rechtsextremismus, Verschwörungsglaube und Wege zur möglichen Überwindung.

Jugendliche und junge Erwachsene sind seit geraumer Zeit besonderes Ziel des rechtsextremen Milieus. Im Missbrauch der Sozialen Medien liegt der Erfolg der Beeinflussung. Ermittlungsbehörden wissen, dass Gewalt aus diesen Reihen häufig von jungen Menschen begangen werden.

„Wir sollten diese Entwicklung nicht einfach nur beobachten, sondern etwas dagegen unternehmen“, sagte Michael Hüllen vom Brandenburger Verfassungsschutz und Initiator des Aussteigerprogramms „WageMUT“. Er rief dazu auf, von zivilgesellschaftlicher Seite politische Entscheider in die Pflicht zu nehmen. Hilfreich sei, wenn etwa Initiativen wie die Partnerschaft für Demokratie „den Druck auf Behörden, auf die Landesregierung erhöhen mit der Forderung: ´Da müssen Sie was machen`“.

Derzeit versuche die extreme Rechte – in Brandenburg über dreitausend Personen – ihre Feindseligkeit gegenüber Zugewanderten und Fremden zu übertünchen, indem sie die obskure „Großerzählung vom Volkstod“ übernehme. Durch vermeintliche Überfremdung drohe den Deutschen als Volk der Untergang, so die Erzählung. Und gönnerhaft: Man sei nicht grundsätzlich gegen Ausländer, solange sie in ihrer kulturellen Heimat blieben. Mit dieser Form des „Ethno-Pluralismus“ werde versucht, ein teils migrationsverängstigtes bürgerliches Spektrum zu erreichen.

„Mit dem kontroversen Titel der Veranstaltung wurden auch demokratieskeptische Personen angesprochen. Das ist ein zentrales Ziel der Partnerschaft für Demokratie. Es geht dabei um die Fähigkeit, widersprüchliche Meinungen zuzulassen und sich damit auseinanderzusetzen. Das ist vor allem in der aktuellen politischen Lage dringend notwendig. Wir müssen im Gespräch bleiben!
Die Veranstaltung richtete sich an Personen, die in ihrem Alltag mit demokratiefeindlichem Verhalten konfrontiert waren. Es hat mich beeindruckt, dass auch Personen aus der Schulsozialarbeit, aus Vereinen und Kommunal-verwaltungen unter den Gästen waren.“

Jennifer Rupprecht, Beauftragte für Bürgerbeteiligung

„Demokratiefeindlichem Verhalten entschieden entgegenzuwirken und für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz einzustehen, sind die Grundmaximen meiner täglichen Arbeit. In einer Zeit, in der Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte um ihre Existenz fürchten müssen, in der sie jeden Tag Hass und Hetze ausgesetzt sind, in der Frauen längst erkämpfte Emanzipation wieder zunehmend verteidigen müssen, in der queere Menschen angegriffen werden und in der Vielfalt nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung proklamiert wird, ist es wichtig zusammenzustehen und zu wissen, wie und wo wir Unterstützung finden können.“

Romy Powils, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte

„Alle Menschen in unserem Landkreis und Land haben ein Recht auf ein Leben in Sicherheit, ohne Hass und Bedrohung. Hass und Hetze sind Gift für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und spalten. In der Konferenz wurden Wege des gesetzlichen Schutzes, Organisationen für Bildung und Aufklärung und zivilgesellschaftliche Initiativen für die Region vorgestellt, die auf unterschiedliche Weise gegen Hass und Spaltung vorgehen.
Wir werden zukünftig weiter an dem Thema arbeiten und Angebote sichtbar und greifbarer für alle machen. Das Thema ist mir eine Herzensangelegenheit.“

Annette Braemer-Wittke, Fach- und Koordinierungsstelle der Partnerschaft für Demokratie TF

Anne Brügmann fühlte sich in ihrem Tagungsbeitrag an die so genannte Baseballschläger-Zeit erinnert, die vor 25 Jahren mit gewalttätigen fremdenfeindlichen Anschlägen für Angst und Schrecken sorgte. Um der öffentlichen Diskussion, die damals vornehmlich um die Täter kreiste, die „Opferperspektive“ gegenüberzustellen, gründete sie 1998 mit anderen Mitstreitern in Potsdam den gleichnamigen Verein, der Betroffene berät und unterstützt.

Opferperspektive bietet nicht nur Hilfe, sondern beobachtet „als zivilgesellschaftliche Ergänzung der Polizei“ die rechtsextreme Szene und dokumentiert deren Angriffe. Allein im vergangenen Jahr habe es in Brandenburg 244 Attacken auf über 400 direkt und indirekt betroffene Personen gegeben. Anne Brügmann: „Der überwiegende Teil war rassistisch motiviert.“

Für Rainer Spangenberg von den Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Brandenburg in Trebbin stellt sich mittlerweile die Frage, „was passiert eigentlich, wenn die AfD an der Macht beteiligt wird oder sie sogar alleine ausübt?“ Er erlebe eine wachsende rechtsradikale Gefahr vor allem im öffentlichen Raum und bei Bildungsveranstaltungen, wo er als Pädagoge mit dem Thema konfrontiert werde.

In Schulen, auch in Seminaren mit der Polizei sei zu erfahren, dass die AfD zunehmend versuche, die Pflicht staatlicher Institutionen zur Neutralität gegenüber Parteien nach eigenen Interessen auszulegen. Es gehe nicht um Parteipräferenzen, so Spangenberg, „aber wir haben die Pflicht und das Recht, nicht neutral zu sein gegenüber Menschenverachtung und Einschränkung von Menschenrechten. Und da werden wir noch mehr darum kämpfen müssen.“ Genau das werde von der AfD infrage gestellt, die immer wieder beispielsweise der Förderung von Vereinen und Initiativen widerspreche, die etwa in ihrer Satzung für Vielfalt eintreten.

Referat Michael Hüllen, Verfassungsschutz Brandenburg

Referat Anne  Brügmann, Verein Opferperspektive

Martin Schubert vom Mobilen Beratungsteam (MBT) Trebbin wies in seinem Tagungsbeitrag darauf hin, dass nicht zuletzt Verschwörungserzählungen in einen Sog der Radikalisierung münden können. Solche Ideologien, wie sie vor allem in krisenhaften Zeiten – wie etwa während der Corona-Pandemie – Konjunktur haben, seien häufig gegen rationale Argumente immun und belasteten die sozialen Beziehungen zu Familie und Freunden.

Vor allem das soziale Umfeld spricht das 2021 gegründete Projekt „Mitmensch“ an, dessen Mitarbeiter Schubert ist. Die Nachfrage nach Beratung und Begleitung sei derart gewachsen, dass mittlerweile auch Fortbildungen, Fachtagungen und Workshops für Sozialarbeiter und pädagogische Fachkräfte große Nachfrage erhielten. Anfang kommenden Jahres wird „Mitmensch“ zudem landesweit Beratung für Aussteiger aus der Verschwörungsszene anbieten, „als zivilgesellschaftliche Parallele zum Aussteigerprogramm „WageMUT“ des Brandenburger Innenministeriums.

Referat Martin Schubert, Mobiles Beratungsteam (MBT) Trebbin

Referat Rainer Spangenberg, Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie

Referat Robert Schulz, Weißer Ring

Auch der Weiße Ring, der einstmals als Organisation zum Schutz von Kriminalitätsopfern gegründet wurde, sieht sich veranlasst, sich den Gefahren des Rechtsradikalismus zu widmen. Robert Schulz, Leiter der Teltow-Fläming-Außenstelle des Weißen Rings, stellte die Tätigkeit seiner Organisation vor und berichtete, dass häufig auch Opfer rechter Gewalt Beratung und Hilfe suchten. Vielfach sei es die Polizei, die Ratsuchende auf den Weißen Ring aufmerksam machten.

Alle Referate zum Nachlesen:

–  Michel Hüllen, Ministerium des Innern und für Kommunales (MIK) Brandenburg, Referat 52 (Prävention,
    Öffentlichkeitsarbeit, Verfassungsschutz durch Aufklärung und Ausstieg aus dem Extremismus);
    Aussteigerprogramm WageMUT
 
–  Anne Brügmann, Verein Opferperspektive
–  Martin Schubert, Mobiles Beratungsteam (MBT) Trebbin; Projekt Mitmensch 
–  Rainer Spangenberg, Rainer Spangenberg, Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie
   (RAA) Brandenburg
 
–  Robert Schulz, Weißer Ring, Leiter der Außenstelle TF