Luckenwalde: Nie wieder ist jetzt!

Von Buxtehude bis Wuppertal, in Landeshauptstädten wie Hannover und Erfurt, von Lüneburg im Norden bis Nürtingen im Süden sind viele tausend Menschen am Wochenende des 20. Januar auf die Straße gegangen. In München wurde die Sonntagsdemonstration aus Sicherheitsbedenken vorzeitig beendet, weil nach Lautsprecherdurchsagen die Zahl der Demonstrierenden auf unerwartete 200.000 zuging. Und – Luckenwalde.

Die Sorge, dass die Zusammenkunft in der Kreisstadt wegen Überfüllung hätte aufgelöst werden müssen, wäre wohl ohnehin unbegründet gewesen. Aber dann: Organisatorin Caroline Fritsch hatte bei der Anmeldung der Demonstration noch ihre Mindesterwartung mit 20 Personen angegeben und gehofft, dass es vielleicht auch ein Mehrfaches dessen, vielleicht 200, werden möge. Später war es polizeiamtlich: Der Aufruf „Luckenwalde für Demokratie – Gegen Menschenfeindlichkeit“ hatte 600 Personen aus Stadt und Landkreis auf dem Platz am Marktturm zusammengebracht.

Bürgermeisterin Elisabeth Herzog-von der Heide stellte den 20. Januar in einen weiteren politischen Zusammenhang und erinnerte an das Jahr 1942, als an diesem Tag – “Datum der Schande“ – die Wannsee-Konferenz, eine Zusammenkunft von Spitzen des nationalsozialistischen Regimes und seines Sicherheitsapparats, die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten beschloss. In unmittelbarer Nähe dieses Ortes gaben sich am 25. November 2023 am Lehnitzsee hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer ein geheimes Stelldichein. Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Elisabeth Herzog-von der Heide:

„Ich bin froh über die Entlarvung dieser Menschenverächter und Staatszerstörer. Aber Gefahr erkannt ist in diesem Fall nicht Gefahr gebannt. Ich mache in letzter Zeit eine Verrohung aus. Meinungsmache ist darauf angelegt, Konflikte zu schüren, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, andere Meinungen niederzumachen, Gewalt zu propagieren, Einschüchterungen vorzunehmen und sie gutzuheißen. (…) Es gibt aus meiner Sicht kein passenderes Datum als den 20. Januar 2024, um auch hier in Luckenwalde deutlich zu machen, dass die Lehnitzsee-Konferenz kein erfolgreicher Wiedergänger der Wannsee-Konferenz ist. Und dass die Menschen und demokratieverachtenden Akteure und ihre Sympathisanten in diesem Land keine Macht gewinnen dürfen.“

Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Erik Stohn gab zu bedenken, dass die Ablehnung von vermeintlich Fremdem nur erst der Startpunkt sein könnte zu einem nationalradikalen Rundumschlag:

„Uns alle eint eine Sorge: Das ist die Sorge um unser friedliches Zusammenleben, das ist die Sorge um die Demokratie, das ist die Sorge um die durch das Grundgesetz gewährten Freiheiten“. Die Deportationsphantasien der Lehnitzsee-Absprache „unterliegen zunächst rassistischen Erwäggründen, aber dann geht’s auch um Andersdenkende; das hatten wir alles schon mal, das kommt uns irgendwie bekannt vor. Und das heißt: Es kann jeden treffen, jeden aus unserer Mitte, der nicht dieser rückwärtsgewandten, menschenverachtenden Gedankenwelt angehört.“

Im Gästehaus am Lehnitzsee schwärmte Sachsen-Anhalts AfD-Fraktionsvorsitzender Ulrich Siegmund offenbar davon, in Deutschland müsse sich das Straßenbild ändern. In seinem Bundesland solle es „für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben“, schreibt das Recherchenetzwerk Correctiv über die Ermittlungen. Und: nichtdeutsche Restaurants müssten unter Druck gesetzt werden. Den Versammelten in Luckenwalde sprach die Stadtverordnete Nadine Walbrach wohl aus dem Herzen, als sie feststellte:

„Ich möchte in einer Gesellschaft leben, (…) in der alle Menschen in ihrer Verschiedenheit akzeptiert und respektiert werden. Rassismus, Antisemitismus, Intoleranz, Hass und Ausgrenzung haben nirgends Platz und sollten nirgends eine Chance haben. Ich rufe Sie daher alle auf, sich anzuschließen und Haltung zu zeigen. Nicht nur online im Netz, sondern auch offline daheim, am Arbeitsplatz, im Verein oder auf der Straße. Lassen wir uns gemeinsam ein starkes Zeichen setzen, so wie heute hier für unsere Demokratie und gegen jegliche Form des Hasses.“

Kritisch ging Die Linke-Landtagsabgeordnete Isabelle Vandre mit jenen Parteien des demokratischen Spektrums ins Gericht, die durch Annäherung an AfD-Tonfall der radikalen Rechten das Wasser abzugraben hofften:

„Wir erleben gerade einen politischen Überbietungswettbewerb, indem Strategien entwickelt werden, wie den Nazis zu begegnen ist. Das ist total wichtig, aber was nicht funktionieren wird, ist, Positionen der AfD zu übernehmen, sie selbst nach außen zu tragen und dann zu meinen, dass man die AfD damit kleinbekommt. Das wird nicht passieren. (…) Und deshalb möchte ich euch bitten: Lasst uns jeden Tag der AfD widersprechen. Lasst uns ihre Diskurse nicht weiter befeuern.“

Politikwissenschaftler Christopher Fritsche spürte dem Umstand nach, warum extrem rechte Parteien gewählt werden, obwohl die Wählerschaft sich durchaus deren ungeheuerlich menschenverachtender Programmatik bewusst ist:

„Das heißt also, dass einige WählerInnen der AfD durchaus wissen, dass etwa soziale Ungerechtigkeit im Land weiter zunehmen wird bei einer Regierungsbeteiligung der AfD, weil bei Sozialmaßnahmen gekürzt und Besserverdienende bevorzugt werden. (…) Um das wirklich zu verstehen, müssen wir uns bewusst machen, dass bei diesen Menschen der Wunsch nach einem Bruch so groß ist, dass sie bereit sind, soziale Missstände in Kauf zu nehmen, solange dafür die wirkliche, scheinbar greifbare Idee einer Veränderung im Raum steht. Die AfD spielt mit diesen Sehnsüchten, indem sie Schreckensszenarien entwirft und Feindbilder anbietet, die diese Menschen ansprechen und mobilisieren. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch eingestehen, dass es die demokratischen Parteien nicht ausreichend geschafft haben, attraktive Gegenentwürfe zu entwerfen und mutige politische Reformprojekte umzusetzen.“

Ein Bündnis aus Politik, Kirche, Kultur und dem Jugendforum Teltow-Fläming hatte zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Martin Zeiler ist Stadtverordneter Luckenwaldes und fasste – trotz zehrender Minusgrade und aufkommender Dämmerung – die mutmaßliche Stimmungslage der Teilnehmenden zum Ende der Veranstaltung so zusammen:

„Wofür ich überhaupt kein Verständnis habe, ist, alle Probleme, die wir haben, einer bestimmten Regierung in die Schuhe zu schieben, und dass man sich einer Partei an den Hals wirft, die jeden, der eine andere Meinung hat, entweder in den nächsten Flieger setzen oder einfach deportieren will. Das ist einfach ein Anschlag auf unsere Grundordnung. (…) Geil! Hab ich keinen Bock drauf hier in Luckenwalde!“

Keinen Bock auf rechts hatte seinerzeit auch die Berliner Punkrock-Band „Die Ärzte“, aus deren Titel „Schrei nach Liebe“ Caroline Fritsch zum Ausklang zitierte. Damals in den Neunzigern, den sogenannten Baseballschlägerjahren, hieß rechts: Glatze, Springerstiefel, Nazi-Tattoos und hirnlos. Das hat sich geändert.




Caroline Fritsch hat die Demonstration in Luckenwalde initiiert.